Gemeinschaftsbüros
Im Februar 2020 (vor der COVID-19-Pandemie) haben wir die Teilnehmenden am Bürgerpanel zum Thema „Leben und Arbeiten in Darmstadt“ befragt. In der Befragung ging es darum, einen Einblick in individuelle Bedürfnisse der Teilnehmenden in Bezug auf ihre Arbeitsumgebung zu erhalten. Dazu wurde auch das Konzept sogenannter „Gemeinschaftsbüros“ vorgestellt. Dabei handelt es sich um Räumlichkeiten im ländlich geprägten und vorstädtischen Raum, in denen sich Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen eine Büroinfrastruktur teilen.
Von den insgesamt 512 Befragten gaben etwas mehr als die Hälfte (252 Personen) an, dass ihre Arbeitstätigkeit technisch und organisatorisch auch außerhalb ihres Arbeitsortes (in Unternehmen, Organisation, o.Ä.) ausführbar sei. Fast 60% dieser Gruppe (149 Personen) äußerte Interesse an der Nutzung eines Gemeinschaftsbüros. Zu den erwarteten Vorteilen eines Gemeinschaftsbüros zählten die Verbesserung der Lebensqualität am Wohnort sowie eine Steigerung der Arbeitsqualität. Die Befragten wünschten sich dafür eine gute Anbindung an den ÖPNV, die Sicherung von Dokumenten am Arbeitsplatz sowie eine flexible Gestaltung der Verträge für die Gemeinschaftsbüronutzung. Weitere Ergebnisse sind hier nachzulesen.
Auf Grundlage der Befragungsergebnisse haben neun Mitglieder des s:ne Projekts einen Bericht verfasst, der im Mai 2021 beim Darmstädter Institut für Wirtschaftspsychologie der Hochschule Darmstadt veröffentlicht wurde. Der 62-seitige Bericht umfasst vielseitige, psychologische Analysen zur Nutzungsintention von Gemeinschaftsbüros und leitet Empfehlungen für deren Gestaltung ab. Der vollständige Bericht ist hier zu finden.
Die weiteren Entwicklungen
Nach der Befragung haben Beteiligte des s:ne Projekts Kontakt zu den vier Kreisen Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Bergstraße, Odenwaldkreis, den Kommunen Stadt Breuberg, Stadt Riedstadt und der Gemeinde Roßdorf aufgenommen. Gemeinsam haben sie einen Förderantrag eingereicht, um erste Gemeinschaftsbüros in den Landkreisen aufzubauen. Gemäß dem Antrag mit dem Titel „Gemeinschaftsbüro-Initiative im südlichen Hessen (GEMINI)“ sollte stufenweise ein Netz an Standorten für wohnortnahe Gemeinschaftsbüros geschaffen werden, um so Pendler*innenströme zu verringern, Ortskerne zu beleben und in strukturschwächeren Teilen der Region die Wirtschaft anzukurbeln. Gerade der Netzwerkcharakter wurde dabei herausgestellt, da es so besonders für Unternehmen, die überall in der Region verteilt sind, interessant wird, den eigenen Mitarbeitenden Gemeinschaftsbüro-Arbeitsplätze anzubieten. Außerdem könnten durch die Bereitstellung von Arbeitsmöglichkeiten in ländlichen Gebieten die wirtschaftliche und strukturelle Entwicklung vor Ort vorangetrieben werden. Auch positive Effekte, z.B. gesteigerte Produktivität oder Kreativität, sind durch die räumliche Zusammenarbeit verschiedener Gemeinschaftsbüro-Nutzenden wahrscheinlich. Zudem werden sich Synergieeffekte für Dienstleistungen von lokalen Anbietern erhofft, z.B. einem ortsansässigen Bäcker, der wieder mehr Zulauf bekommt, weil die Mitarbeiter*innen im Gemeinschaftsbüro mittags ihr Essen dort besorgen.
Insgesamt verfolgt das Projekt die Sustainable Development Goals (SDGs) der UN, insbesondere SDGs 7 („bezahlbare und saubere Energie“) durch einen Beitrag zu mehr Energieeffizienz über gemeinsam genutzte Büroflächen, SDG 11 („nachhaltige Städte und Gemeinden“) und SDG 13 („Maßnahmen zum Klimaschutz“). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat den GEMINI-Antrag im November 2020 jedoch nicht bewilligt. Aktuell werden alternative Finanzierungsquellen für die Initiative gesucht.
Des Weiteren wurde auf einer Fachkonferenz mit dem Titel „Neue Arbeitswelten - ideenreich im Kreis Groß-Gerau“, die Ende Juni 2021 stattfand, u.a. die Gemeinschaftsbüro-Initiative als ein neues Arbeitswelt-Konzept Vertreter*innen aus Wirtschaft und Wissenschaft vorgestellt. Dabei wurden die Nutzungsintention und gewünschte Eigenschaften eines Gemeinschaftsbüros als Ergebnisse der Bürgerpanel-Befragung von Februar 2020 präsentiert. Im Austausch mit den Anwesenden aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft wurde den Beteiligten des s:ne-Projekts deutlich, dass Interesse an Gemeinschaftsbüros weiterhin vorhanden ist. Entscheidender Punkt bleibt allerdings die Suche nach Fördermöglichkeiten.
Fazit
Gemeinschaftsbüros könnten große Ballungsgebiete entlasten, indem sie das beruflich bedingte Verkehrsaufkommen in diesen Gebieten verringern und die damit einhergehenden negativen Effekte auf Mensch und Umwelt vermindern. Gleichzeitig würden ländliche Ortskerne durch die Um- und Wiedernutzung von Leerständen belebt und die wirtschaftliche und strukturelle Entwicklung vor Ort vorangetrieben. Bisher fehlt trotz mehrerer Bemühungen jedoch noch eine Finanzierungsmöglichkeit für die Realisierung des Konzepts und die Einrichtung von ersten Gemeinschaftsbüros. Die in der Bürgerpanel-Befragung von den Teilnehmenden genannten Wunscheigenschaften sollen dabei zukünftig in die Ausgestaltung von Gemeinschaftsbüros und deren Rahmenbedingungen einfließen.
Sie haben Lust, sich in der Entstehung von Gemeinschaftsbüros in der Region einzubringen?
Sie sind Unternehmer*in und das Konzept spricht Sie an?
Sie kennen alternative Fördermöglichkeiten oder weitere Interessenten von Gemeinschaftsbüros?
Dann melden Sie sich gerne bei uns unter buergerpanel@h-da.de
Bild: Stegreif-Entwürfe eines Gemeinschaftsbüros (entwickelt im Rahmen eines studentischen Projekts am Fachbereich Architektur von Sofie Weber & Jennifer Lindstedt)